Das Monopol der Reisepässe

Eine Zusammenfassung der Studie The Global Mobility Divide von Mau et al[1].

Wir beobachten einen weltweiten Anstieg der Mobilität der Menschen. Gleichzeitig sind von dieser Entwicklung viele Menschen ausgeschlossen. Es existiert ein signifikanter Unterschied zwischen dem Menschen aus dem Globalen Norden und dem Globalen Süden, was die Bewegungsfreiheit angeht.

Dieser Beobachtung sind die Forscher*innen Steffen Mau, Fabian Gülzau, Lena Laube und Natascha Zaun in ihrer Studie „The Global Mobility Divide: How Visa Policies Have Evolved over Time“ auf den Grund gegangen. Mit einem neuen Satz an Daten über die Entwicklung von Visafreiheit und Visapflicht zwischen 1969 und 2010 versucht das Forschungsteam durch einen empirischen Ansatz, Antworten auf alte Fragen zu finden.

Auf der einen Seite brauchen Nationalstaaten schnelle und effiziente Grenzübergänge und auf der anderen Seite starke Kontrollen, um unerwünschte Menschen aus dem Land fern zu halten. Aufgrund dieser Problematik wurde in den letzten Jahrzehnten der Einsatz von visafreier Einreise für bestimmte Länder verstärkt eingeführt (z.B. das Schengenabkommen). Der Reisepass ist hier das Maß der Dinge und wird somit zum alleinigen Machtinstrument.

„The holder of a particular passport not only enjoys rights related to their country of citizenship but also acquires a certain status within the global mobility regime.”

Das Forschungsteam spricht hier auch von einem „Monopol, das über Bewegungsfreiheit entscheidet“ – Das Monopol der Reisepässe.

Der bereits oben genannte Datensatz wurde unter vier Gesichtspunkten analysiert. Die erste Auswertung umfasste die durchschnittliche Anzahl von Visafreiheit zwischen den Ländern. Hier bildet sich eine deutlich positive Entwicklung, mit einem Anstieg visafreien Reisens, ab. Die weltweite Verteilung nimmt jedoch ganz andere Züge an: Die Zahlen belegen, dass Visafreiheit ungleichmäßig zwischen den Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens verteilt ist. Dieses Ungleichgewicht hat sich in den letzten 40 Jahren eher noch verstärkt. Auch der Vergleich zwischen Kontinenten bestätigt die Annahme der ungleichmäßigen Verteilung. Hier fällt vor allem auf, dass der afrikanische Kontinent als einziger an Visafreiheit verloren hat (siehe Abbildung 1).

“Indeed, the ‘Wall around the West’ (Andreas and Snyder 2000) is primarily a defence of protection against African migrants.”

Abbildung 1 - Durchschn. Visafreiheit nach Kontinenten

Abbildung 1: Durchschnittliche Visafreiheit nach Kontinenten (1969/2010)

 

Schlussendlich wird nach den Gewinner*innen und den Verlier*inne der Visapolitik der letzten 40 Jahre gefragt (siehe Abbildung 2). Die Analysen zeigen deutlich, dass vor allem ehemals kolonialisierte Länder zu den Verlierer*innen von Visafreiheit zählen. Während und kurz nach der Kolonialherrschaft genossen viele dieser Länder eine größere Bewegungsfreiheit als heutzutage.

Abbildung 2 - Gewinner und Verlierer der Visapolitik

Abbildung 2: Länder mit den höchsten Gewinn oder Verlust an Visafreiheit zwischen 1969 und 2010

 

Die wissenschaftliche Arbeit von Mau et al. leistet einen wichtigen Beitrag, um Auswirkungen der weltweiten Visapolitik besser zu erfassen und zu verstehen. Trotzdem trauen sich die Autor*innen nicht, historisch gewachsene Machtverhältnisse im Rahmen der Visapolitik zu thematisieren und anzuprangern. Das Ungleichgewicht von Visafreiheit wird häufig als solches erwähnt und mit Zahlen belegt. Jedoch fehlt die klare Aussage, dass dieses Ungleichgewicht eine vom Globalen Norden gewollte ist.

Folgendes Zitat vom selbigen Autor zeigt die Art der Argumentation wenn es um die Frage geht, wie diese globale Ungleichheit von Visafreiheit entstanden ist:

‘[W]hile liberal states are successful in extending the mobility rights of their own citizens far beyond the Western world (if not globally) they do little to strengthen or grant these rights for non-rich and non-democratic countries’ (Mau et al. 2012, 197).

Die Argumentationskette nimmt an dieser Stelle eine sehr eurozentrische Perspektive ein. Nicht der Globale Norden setzt sich zu wenig für die Rechte auf Bewegungsfreiheit für Menschen aus dem Globalen Süden ein. Er schränkt sie massiv ein! Wörter wie „to strengthen“ oder „to grant“ schaffen wieder eine Abhängigkeit, in der die westlichen Nationen als Geber dargestellt werden. Dabei sind sie es, die die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für große Teile der Menschheit erst bewirkt haben.

Auch der historische Zusammenhang wird leider nur angerissen und nicht weiter ausgeführt. Wenn man über Machtverhältnisse in der Visapolitik spricht muss man auch koloniale Kontinuitäten thematisieren. Diese historische Perspektive wird in Studien jedoch häufig ausgeblendet und findet nicht den Weg in wissenschaftliche Artikel zur Visathematik.

 

[1] http://www.researchgate.net/publication/270566620_The_global_mobility_divide_How_visa_policies_have_evolved_over_time