Visafreiheit: eine Frage der Macht

Seit ein paar Wochen steht das Thema der Visaliberalisierung weit oben auf der politischen Agenda in Deutschland. Im Zuge des EU-Türkei Gipfels wird darüber diskutiert eine Visafreiheit einzuführen, was bedeuten würde, dass Türk*innen zukünftig kein Visum mehr benötigen, um in die EU einzureisen. Selbstverständlich geschieht das nicht ohne Gegenleistungen. Aus unserer Sicht, zeigen die Diskussionen und Verhandlungen rund um den Deal einige Eigenschaften auf, die auch sonst charakteristisch für das europäische Visasystem stehen. Diese möchte ich hier thesenartig vorstellen. Zunächst einmal: um was geht es überhaupt? Was wird verhandelt und warum wird überhaupt über Visafreiheit diskutiert?
Als sich vor wenigen Wochen die Mächtigen Europas und der Türkei auf einem Gipfel trafen, war das erklärte Ziel der EU, Flüchtende aus Europa fernzuhalten. Die Türkei sollte dabei helfen. Im Gegenzug wurden dafür wiederum Gegenleistungen verlangt. Im Gespräch sind viel Geld an die Türkei, Fortschritte bei den EU Beitrittsverhandlungen und die Visafreiheit. Der Deal wurde richtigerweise von verschiedenen Seiten für seine Unmenschlichkeit kritisiert. Die Konsequenzen waren absehbar und sind nicht ertragbar. Ich möchte allerdings hier nicht weiter darauf eingehen, sondern den Aspekt der Visafreiheit näher untersuchen.

Ein Visum für den Schengenraum zu bekommen ist für viele Türk*innen bisher eine Tortur. Selbst für einen kurzen Aufenthalt garantieren der Vorweis von Kontoauszügen, Immobilienbesitz, Krankenversicherungsnachweise, eine persönliche Einladung und Rückflugtickets nicht, dass das Visum erteilt wird. Mit der willkürlichen Begründung der fehlenden Rückkehrbereitschaft haben Behörden im letzten Jahr 20% der beantragten Visa abgelehnt. Das Geld für das Flugticket, die 60€ Visagebühr und die 30€, die man unter Umständen für Hilfe bei der Antragsstellung bezahlt hat sind dann zum Fenster hinausgeworfenes Geld. Wer schon Mal mit einem deutschen Pass in die Türkei gereist ist, weiß, dass dies für Menschen mit deutschem Pass nicht gilt. Sie können bequem ohne Visum in die Türkei reisen. Diese offensichtliche Ungleichheit und Ungerechtigkeit schreien zum Himmel.
Dass die Türkei nun also eine Visumfreiheit fordert ist nachvollziehbar. Dass sich Deutschland damit den türkischen Machthabern unterwirft hat Dagdelen (MdB, Die LINKE) schon kritisiert und ich möchte auch auf eine Bewertung des Deals hier verzichten. Um was es mir geht sind auf Aspekte hinzuweisen, die meiner Meinung nach die Verhandlung um Visaliberalisierungen generell charakterisieren. Die nun verhandelte Visafreiheit folgt keiner natürlichen, höheren Ordnung, sondern ist Verhandlungsmasse der politischen Eliten. Die Bewegungsfreiheit der einen Gruppe, basieren daher genauso auf politischer Macht wie die restriktiven Einreisekontrollen für die meisten Menschen auf dieser Welt Ausdruck dergleichen sind. Wer Bewegungsfreiheit genießt und wer nicht, ist Verhandlungssache der Politik, wie auch bei den aktuellen Verhandlungen. Das sollen meine folgenden Thesen verdeutlichen:

Für welche Länder die EU eine freie Einreise gewährt ist eine Frage der Macht. Nur wenn auch ein politisches oder wirtschaftliches Interesse besteht werden Visaerleichterungen erteilt. Jahrelang forderte die türkische Regierung eine Visafreiheit für ihre Bürger*innen. Erst jetzt, wo sie politisch ‚gebraucht‘ werden, kann über die Visafreiheit verhandelt werden.
Menschengruppen werden gegeneinander ausgespielt. Die Visafreiheit ist nur deshalb auf dem Verhandlungstisch, weil die Türkei im Gegenzug bereit ist, Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen. Die Fluchtroute über den Balkan und die Überwindung des Schengen-Grenzregimes wird für die Bewegungsfreiheit türkischer Bürger*innen gestoppt. So wird die Möglichkeit sich ‚frei‘ zu bewegen zum Verhandlungsspielball der Politik. Die Hierarchie der Bewegungsfreiheit manifestiert sich in diesem Moment.
Visaliberalisierungen oder -restriktionen sind willkürlich. Erst auf Grund der Unfähigkeit der EU eine Antwort auf die Migration der letzten Jahre zu finden, wurde die Visafreiheit für die Türkei zur Diskussion gestellt. Änderungen in Visabestimmungen folgen also Ereignissen, die willkürlich eine Veränderung der Visabedingungen in beide Richtungen (also Erleichterungen oder Restriktionen) zur Folge haben können. Dass die Einhaltung demokratischer Prinzipien in den von der Visafreiheit betroffenen Ländern dabei keine Rolle spielen müssen, zeigt das Beispiel der Türkei eindrücklich.
Für unsere Arbeit zeigt der Fall, unabhängig davon ob wir ihn befürworten oder nicht Folgendes: Weil die EU-Visapolitik machtpolitisch gesteuert ist, müssen wir sie immer wieder aufs Neue hinterfragen, kritisieren und ablehnen. Wir können nicht akzeptieren, dass die Bewegungsfreiheit verschiedener Gruppen gegeneinander ausgespielt wird. Die nun verhandelte Visaliberalisierung für die Türkei zeigt uns leider auf, wie wenig sich die Politik um eine allgemeine Bewegungsfreiheit schert.

Ob die Visafreiheit für türkische Bürger*innen nun kommt oder nicht ist schwer abzusehen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ließ kürzlich verlauten, dass er dies bezüglich keine großen Hoffnungen mehr hege. Dies zeigt erneut, wie willkürlich und ungleich das EU Visasystem ist.