Barbara Lochbihler zum humanitären Visum

Wir haben unterschiedliche Politiker*innen zu ihrer Einschätzung zum humanitären Visum gefragt. Dieser Blogbeitrag ist Teil einer Reihe in der wir ausnahmsweise Politiker*innen das Wort überlassen.

Zur Person: Barbara Lochbihler ist außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament und Vizepräsidentin des EP- Menschenrechtsausschusses. Sie war von 1999 bis 2009 Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland und sitzt seit 2009 für die Grünen im Europaparlament.

Humanitäre Visa verhindern das Sterben im Mittelmeer 

In der Debatte über Flüchtlingsaufnahme ist immer wieder zu hören, es sei ungerecht, dass nur die Flüchtlinge in Europa Asyl beantragen können, die fit genug für die gefährliche Überfahrt sind und Geld genug für Schlepper haben. Nicht selten wird diese Ungerechtigkeit denen angelastet, die es geschafft haben, so als hätten sie die noch Bedürftigeren weg gedrängt. Dabei ist es die Politik der europäischen Länder, die die paradoxe Situation schafft, Verfolgten und Kriegsflüchtlingen ein Recht auf Asyl einzuräumen, den Flüchtenden aber gleichzeitig das Recht auf eine sichere und legale Einreise zu verwehren. Es gibt zahlreiche Massnahmen, die den Zugang zur Europäischen Union sehr effektiv verhindern. Das Ergebnis sind Tausende von Toten und das Zurückbleiben besonders Schutzbedürftiger.

Hier können humanitäre Visa Abhilfe schaffen und deshalb befürworte ich die Ausstellung solcher Visa ausdrücklich und setze mich in meiner politischen Arbeit und in der Öffentlichkeit dafür ein. Der Europäische Gerichtshof ist im März leider nicht der Stellungnahme seines Generalanwalts Mengozzi gefolgt. Nach Mengozzis Rechtsauffassung verpflichtet die Europäische Menschenrechtskonvention die Mitgliedsstaaten dazu, humanitäre Visa auszustellen, wenn die Antragsteller*innen anders keinen Schutz erhalten oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt würden. Der Gerichtshof sieht eine solche Verpflichtung nicht. Allerdings geht er davon aus, dass bereits der Visumsantrag mit einem Asylantrag gleichzustellen ist und die Mitgliedstaaten diese Möglichkeit, einen Asylantragstellung an einer Botschaft zu stellen, nicht untereinander geregelt haben. Nicht nur Mengozzi, auch andere Jurist*innen teilen diese Auffassung nicht. Leider hat der EUGH das letzte Wort – danach kommt keine Instanz mehr. Das Problem liegt aber meiner Meinung nach nicht allein auf der europäischen Ebene, denn jede deutsche Botschaft kann humanitäre Visa ausstellen, wenn die Bundesregierung das will. Dieser politische Wille fehlt.

Foto: www.barbara-lochbihler.de/

Sichere Wege nach Europa!
Es ist wichtig, für die Ausstellung Humanitärer Visa zu kämpfen, man darf sie aber auch nicht überschätzen. Für viele Flüchtlinge ist das keine Option, entweder, weil sie ihr Land plötzlich verlassen müssen oder aus anderen Gründen die Botschaften gar nicht erreichen können. Es gäbe aber noch viele andere Möglichkeiten, sichere und legale Zugangswege zu schaffen. Die Naheliegendste ist der Familiennachzug.
Statt ihn unbürokratisch und schnell zu ermöglichen, wird er leider eher verhindert oder hinausgezögert. Erst unlängst wurde bekannt, dass die deutsche mit der griechischen Regierung vereinbart hat, den Nachzug von Familienmitgliedern von Griechenland nach Deutschland auf monatlich siebzig Fälle zu deckeln. Dabei handelt es sich nur um Mitglieder der Kernfamilie, also ein Elternteil oder Kinder und nur um Fälle, in denen nach der Dublinverordnung ein Rechtsanspruch auf Familiennachzug besteht. Selbst hier wird gebremst, was für die Betroffenen sehr quälend ist.

Immer wieder hören wir: die deutsche Gesellschaft ist überfordert, es gäbe keine Zustimmung für noch mehr Flüchtlinge. Das stimmt nur bedingt. Nach wie vor sind überwältigend viele Unterstützer*innen aktiv. Alle, die eine offene und humane Gesellschaft wollen, eine Gesellschaft, die sich ohne Wenn und Aber an internationale Vereinbarungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention hält, müssen sichtbarer werden.